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Interview

Die Frau von nebenan

Die Sängerin Norah Jones über ihr Leben als „working mum“, ihre Podcast-Serie und warum Sie sich selbst nicht als Jazzsängerin sieht
Von
Maxi Broecking
Foto: Joelle Grace Taylor

Im Zoom-Interview – um 8 Uhr morgens New Yorker Zeit – gibt sich die neunfache Grammy-Gewinnerin Norah Jones, deren Alben sich mehr als 55 Millionen Mal verkauft haben, ganz bodenständig. Nach vierjähriger Pause ist gerade ihr neuntes Album „Visions“ erschienen – und direkt in den Billboard-Verkaufscharts als Nummer eins sowohl für zeitgenössische Jazz-Alben eingestiegen, als auch für Jazz-Alben insgesamt. Dabei ist es eher ein Singer-Songwriter-Album mit Americana und Folkanteilen.


Norah Jones, Sehen Sie „Visions“ als Jazz-Album?

Nein, nicht wirklich. Ich habe schon mein erstes Album nicht als Jazz-Album gesehen, obwohl es, wie alle meine Aufnahmen, bei Blue Note erschienen ist. Ich bin damit aufgewachsen, Jazz zu spielen und zu hören, und Jazz ist ein großer Teil von dem, was ich bin. Aber Musik zu klassifizieren ist nicht wirklich mein Ding.

„Visions“ ist Ihr erstes Studioalbum mit neuen Songs seit 2020. Was ist für Sie das Besondere daran?

Ich habe mit dem Produzenten Leon Michels gearbeitet, wie schon für mein Weihnachtsalbum „I Dream
of Christmas“ von 2021. Danach wollte ich mit ihm weiterarbeiten, weil ich mich so frei und glücklich gefühlt habe in der Zusammenarbeit. Das Album ist aus gemeinsamen Jamsessions entstanden, wir haben Dinge ausprobiert, und auf den meisten Stücken sind wir nur zu zweit und spielen alle Instrumente selbst. Leon hat Gitarre, Bass, Schlagzeug und Saxo­fon gespielt, ich Klavier, Orgel, Gitarre und Bass.


Auf zwei Stücken sind Vogelgeräusche zu hören. Wie kam es dazu?

Wir waren in einem Studio bei ihm in der Nähe. Für den ersten Track wollte ich Vögel aufnehmen, und er hat einfach die Tür geöffnet und ein Mikrofon nach draußen gestellt. Beim zweiten Song ist es eine lustige Geschichte: Meine siebenjährige Tochter war mit uns im Studio. Ich ließ sie also Videospiele auf ihrem iPad spielen, während wir arbeiteten. Und irgendwann funktionierten ihre Kopfhörer nicht mehr, und im Videospiel, das sie spielte, waren Vögel zu hören. Die sind jetzt auch auf dem Album.

„Visions“ ist ein Balladenalbum, in dem es vor allem um Liebe geht, in vielen Songs auch um vergangene Liebe. Wie entstehen Ihre Songtexte?

Ganz unterschiedlich. Einige sind sehr schnell im Studio entstanden, über andere habe ich monatelang nachgedacht. Manche haben sich auch aus Gedichten entwickelt, die in meinen Notizen standen. Ich mag es, diese Gedichte als Songvorlagen zu nutzten. Die kommen manchmal einfach so heraus, wie ein Lied, das man innerlich hört.

Auf Ihrem Album „Not Too Late“ von 2007 ist der Song „My Dear Country“ ein Kommentar zur zweiten Amtszeit von George W. Bush. Jetzt sieht es so aus, als würde auch Donald Trump eine zweite Amtszeit bekommen. Gibt es auf „Visions“ einen Song für die aktuelle Situation in den Vereinigten Staaten?

Vielleicht „That’s Life“. Du stehst auf und fällst wieder hin. Aber ich denke, es ist ein bisschen früh am Morgen für Politik.

Sie leben mit Ihrem Mann, dem Musiker Pete Remm, ein Familienleben mit Schulkindern. Wie bekommen Sie das hin?

Es ist wie bei allen Eltern ein ziemliches Jonglieren. Wir engagieren uns beide sehr für unsere Familie. Im Grunde sind unsere normalen Tage wie bei anderen Eltern. Nur unsere Musiktage sind ein bisschen anders und müssen organisiert werden.

Sie sind in New York als Tochter der Konzertveranstalterin Sue Jones und des Sitar-Spielers Ravi Shankar geboren, ihre Mutter zog mit Ihnen nach der Trennung in die Nähe von Dallas, als sie vier Jahre alt waren. Als Sie aufgewachsen sind, sangen Sie dort in einem Kirchenchor. Wie erinnern Sie sich daran?

Ja, ich habe im Kirchenchor angefangen zu singen, als ich etwa fünf Jahre alt war. Ich erinnere mich auch an lange Autofahrten mit meiner Mutter, bei denen wir ihre Kassetten gehört haben. Sie hatte eine große Sammlung mit Jazz, Soul und Country-Musik – Aretha Franklin, Ray Charles, Willy Nelson und Dolly Parton. Sie hatte auch brasilianische Musik aus den späten 1960ern, weil sie mal in Brasilien gelebt hatte. Diese ganze Tropicália fand ich toll. Aber auch Oper, vor allem Maria Callas. Ich hab immer mitgesungen. In der achten Klasse habe ich sogar überlegt, ob ich Opernsängerin werden will. Aber dann habe ich mich für Jazz entschieden, das war ein bisschen freier.

Sie sind auf die Performing Arts High School gegangen und haben bereits während Ihres Studiums Preise der Zeitschrift Downbeat gewonnen. Dann schickten Sie ein Demoband an Bruce Lundvall von Blue Note Records. Wie kam es dazu?

Ich war gerade nach New York gezogen, trat in kleinen Clubs auf und hatte noch nicht wirklich in diese Richtung gedacht. Aber da war eine Frau, die meinen Auftritt gesehen hatte und Bruce kannte. Sie hat ein Treffen mit ihm arrangiert. Ich habe mich mit niemandem sonst getroffen, ich war einfach noch so jung. Bruce wurde ein wichtiger Mentor, und Blue Note ist ein großartiges Label für mich, auch wenn die Musik, die ich mache, nicht traditioneller Jazz ist. Aber sie glauben an das, was ich mache.