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Interview
Tinte kann man nicht hören
Fast 400 Werke hat das Arditti Quartet uraufgeführt. Nun konnte das Streichquartett um den Geiger Irvine Arditti seinen 50. Geburtstag feiern
Von
Arnt Cobbers
Foto: Manu Theobald

Es war der 7. März 1974, als der 21-jährige Irvine Arditti mit drei Kollegen das Streichquartett Nr. 2 von Krzysztof Penderecki in London aufführte. Penderecki hatte zuvor mit den jungen Musikern gearbeitet, und das gefiel Arditti, der sich schon früh für Neue Musik begeisterte, so sehr, dass er für „herkömmliche“ Klassik bald verloren war (allerdings spielte er noch zwei Jahre als Erster Konzertmeister im London Symphony Orchestra). Die Mitmusiker wechselten mehrfach, zwischen 2003 und 2006 formierte sich die jetzige Besetzung mit dem gebürtigen Armenier Ashot Sarkissjan, 2. Geige, dem Brasilianer Ralf Ehlers (der eine selbstgebaute Bratsche spielt!) und dem gebürtigen Lörracher Lucas Fels am Cello. Alle vier sind auch außerhalb des Quartetts aktiv, Lucas Fels etwa unterrichtet als Professor Neue Musik in Frankfurt/Main. Das Interview fand hinter der Bühne des Pierre Boulez Saals in Berlin statt, in der Mittagspause zwischen zwei Proben für das Konzert am Geburtstagsabend. Die vier Musiker sind eine fröhliche Runde, in der viel gelacht wird.

Mr. Arditti, war es von Anfang an die Idee, mit dem Quartett überwiegend oder nur neue Musik zu spielen?

Irvine Arditti: Nur! Erst nach einiger Zeit haben wir begonnen, auch ältere Musik und Musik der Zweiten Wiener Schule zu spielen.

Was ist so erfüllend daran?

Arditti: Wenn Sie das nicht wissen, sollten Sie dieses Interview nicht führen. Es ist großartig herauszufinden, was die Komponisten wollen. Und man kann sie zu den Proben einladen.

Aber da muss doch noch mehr sein.

Man kommt in Kontakt mit den Menschen, die die Musik schreiben. Und die Musik ist faszinierend. Klassische Musik ist ok, aber …

Lucas Fels: Etwas zu spielen, was noch niemand gehört hat, etwas vollkommen Neues – das ist das Größte, was man machen kann als Musiker. Andere versuchen, aus den Beethoven-Sonaten etwas ganz Besonderes zu machen. Aber wir spielen Musik, die noch nie jemand gehört hat.

Arditti: Er sagt in besseren Worten, was ich sagen wollte.

Fels: Und die Komponisten schreiben für uns. Das war schon immer so. Die Komponisten schreiben nicht für die Schublade, sie schreiben für konkrete Musiker.

Ashot Sarkissjan: Wir spielen Beethoven eben nicht zum 1735. Mal. Dann geht es irgendwann nur noch darum, was du mit der Musik machst. Bei uns geht es nur um die Musik, um sie selbst. Wir stellen uns in den Dienst der Musik – und nicht andersherum.

Wenn Sie zurückschauen auf 50 oder auch 20 Jahre Arditti-Quartett: Was kommt Ihnen zuerst in den Sinn: die Komponisten, mit denen Sie zusammengearbeitet haben? Die Musik, die Sie aufgeführt haben? Die Konzerte, die Sie gegeben haben?

Arditti: Nicht die Atmosphäre der Konzerte. Oder ... doch: Bei einem Stück, da kamen Hubschrauber vor. Es ist eine Mischung aus der Persönlichkeit der Komponisten und daraus, wie gut man sie kennenlernt – einige sind Freunde geworden, haben bei mir im Haus gewohnt, meine Frau hat Essen gekocht, während wir geprobt haben. Aber im Wesentlichen geht es natürlich um die Musik.

Fels: Das ist die größte Herausforderung, der man sich als Musiker stellen kann. Die Komponisten kennenzulernen, mit ihnen gemeinsam etwas Neues zu erschaffen, herauszufinden, wie man etwas spielt, was eigentlich unspielbar ist, und was man daraus machen kann –  das ist ein Privileg.

Ralf Ehlers: Und wir arbeiten mit den besten Komponisten unserer Zeit. Besser geht’s nicht.

Arditti: Es hilft, wenn man die Komponisten kennt und weiß, wie sie „ticken“. Ich kannte Xenakis ziemlich gut, auch Ligeti, und Stockhausen so gut, wie man ihm nahekommen konnte. Helmut Lachenmann kennen wir alle ganz gut. Alle sind Persönlichkeiten, sie bringen sich ganz unterschiedlich in die Proben ein. Nehmen Sie Lachenmann und Wolfgang Rihm: Der eine weiß ganz genau, was er will, ich möchte dies, ich möchte das, der andere macht eher Vorschläge, gibt Hinweise auf die Atmosphäre. Das ist interessant. Die einen sagen dir, was du zu tun hast, die anderen nicht. Aber das macht nichts, denn man entwickelt ein Gespür dafür, was ein Komponist braucht. Und das macht man dann. Und manchmal, wenn jüngere Komponisten in einem Stil von jemandem schreiben, den wir kennen, oder es erinnert uns an etwas, was wir von irgendwoher kennen, dann wissen wir, wie wir es spielen müssen, ohne dass sie ein Wort sagen. Das kommt durch unsere Erfahrung, auch wenn wir das Stück nie zuvor gesehen haben.