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Tiere in der Musik
Das schlaue Füchslein
Ankommen, Gehenmüssen, Erinnertwerden. Vor hundert Jahren erblickte Leoš Janáčeks freiheitsliebende Füchsin Bystrouška mit den Tieren und Menschen ihrer Umgebung das Licht der Bühnenwelt
Von
Gerald Felber

Das Denkmal in Hukvaldy erinnert an die erste Aufführung des „Schlauen Füchsleins“ in Janáčeks Heimatstadt 1959

Es gibt tragische und komische Opern, manchmal grotesk-skurrile oder streng oratorische – und dann noch, selten genug: die einfach liebenswerten. Auf Mozarts „Zauberflöte“ könnte sich die globale Musiktheaterwelt dabei wahrscheinlich am einfachsten einigen. Anderswo – bei „Cenerentola“, „Hänsel und Gretel“ oder der „Verkauften Braut“ – spielen schon nationale Präferenzen mit. Ähnlich ist es auch beim „Schlauen Füchslein“ Leoš Janáčeks, das seinem Schöpfer seit der Uraufführung am 6. November 1924, dem Tag seines eigenen 70. Geburtstages, einhelligen und bald auch internationalen Erfolg brachte.

Was bei der Reihe von Mozart bis Janáček auffällt: Alle diese Stücke balancieren auf dem schmalen Grat zwischen tiefem Ernst und erfrischender Heiterkeit; alle integrieren sie mehr oder minder deutlich Märchenmotive; und alle sind sie mit einer Art Grundnaivität einerseits gut kindertauglich, aber auch erfüllt von humaner und vielschichtiger Weisheit für „die Großen“. Dabei gibt es gerade bei dem mährischen Komponisten subtile, historisch gewachsene und abgelagerte Verschiebungen – vor allem im deutschen Sprachraum, wo Max Brods engagierter, aber auch ziemlich eigenwilliger Einsatz für Janáček bei der Übersetzung dieser Oper einige Merkwürdigkeiten hervorbrachte. Heute wird das Stück auch auf unseren Bühnen meist in der Originalsprache inszeniert, doch der Titel „Das schlaue Füchslein“, den ihm Brod angeheftet hat, ist geblieben – und führt eigentlich, waidmännisch formuliert, auf eine falsche Fährte.

Im Original heißt die Oper „Příhody Lišky Bystroušky“, wobei jene „Liška“, deren (Lebens-)Begebenheiten („Příhody“) geschildert werden, gerade kein niedliches Knuddelfüchslein, sondern ein ausgewachsenes weibliches Tier bezeichnet; und „Bystrouška“, der Name, mit dem sich die Titelheldin auch selbst vorstellt, zielt vielleicht auch auf intellektuelle, vor allem aber auf verführerisch-sinnliche Qualitäten. Scharf-, fein- oder zartohrig – alles das darf, zwielichtig zwischen Leib und Geist changierend, neben der ein wenig schulstreberhaft anmutenden „Schlauheit“ mitgedacht werden. Dass es Janáček, der hier sein eigener Librettist war, genau so gemeint hat – dafür sind seine Noten der Beweis.  

Jene Zutaten, die man Brod bei all seinen Verdiensten um den älteren Komponistenfreund ankreiden muss – eine Prise Infantilisierung und zusätzliche Sentimentalität – wirkten sich nicht nur im Titel aus. Eine andere seiner Eingebungen war, der knarzig-sentimentalen Herrenrunde aus Förster, Schulmeister und Pfarrer einen allen gemeinsamen weiblichen Bezugspunkt zu geben. In Janáčeks Libretto hingegen hat jeder der alten weißen Männer seine eigene Traumgestalt, was wesentlich lebensnäher ist und trotzdem nicht ausschließt, dass sie in der Sehnsucht nach unverfälschter Natürlichkeit einen Teil ihrer Verlustgefühle auf die selbstbewusste, neugierig-abenteuerlustige und vor allem freiheitsliebende Füchsin (nur im ersten der drei Akte ist sie wirklich noch ein „Füchslein“) übertragen. Bystrouška, die sich keinen äußeren Zwängen, sondern nur ihren eigenen Gefühlen beugt, hat ja nicht nur etwas vorzeitig Pippi-Langstrumpfhaftes, sondern verbindet das zudem mit einer erotischen Komponente, die zumindest in ihrem Verhältnis zum Förster die Tier-Mensch-Schranke touchiert und positiv wie negativ in Gefahr bringt.    

Wie denn überhaupt diese Durchlässigkeit, Korrespondenz und Osmose alles Lebenden – Menschen, Tiere und sogar die Bäume des Waldes – den ganz besonderen Zauber dieses Stücks ausmacht. Und weil sich in der Zu- oder auch Abneigung zu anderen Lebewesen jüngere und erwachsene Menschen dann doch ziemlich ähnlich sind, weil wir alle in ihnen das Werden und Vergehen, den Kreislauf des Lebens gespiegelt sehen, ist die bei Janáček gegenüber seiner Vorlage noch wesentlich vertiefte Parallelführung von Tier- und Menschsein für Groß und Klein gleichermaßen erheiternd, doch vor allem nachdenklich machend: Die direkten Kollisionen verlaufen tragikomisch bis tödlich, und nur in den Monologen des Försters zu Beginn und am Ende der Oper öffnen sich auch die ergreifend ausgemalten Möglichkeiten eines harmonischen Miteinanders. Ansonsten spielen die Zweibeiner im Kreislauf der Natur eine eher fatale, manchmal skurril-tölpelhafte Rolle – und sind trotzdem, was im Begreifen aus dem Stück heraus wieder sehr berührend ist, auch nur ein Teil von ihr.

Nicht nur eine Randglosse ist dabei, dass der Komponist fast alle Tiere und sogar den männlichen Partner seiner Titelgestalt mit Frauenstimmen besetzt. Die beiden Ausnahmen – Dachs und Mücke als Parallelfiguren für Pfarrer und Schulmeister – sind ja nicht gerade besondere Zierden der Fauna; ansonsten aber schien ihm das tierisch-weibliche Wesen offenbar als zwar ebenfalls schwierig (Klatsch, Eitelkeit und Opportunismus gibt es in Wald und Feld genau wie in der Menschenwelt), aber trotzdem inspirierender, reizvoller und perspektivträchtiger als die männliche Daseinsform. Dass er dabei auch Erfahrungen seiner eigenen Spät-Verliebtheit in die fast vierzig Jahre jüngere Kamilla Stösslova sublimiert hat, ist naheliegend.

Schließlich und jenseits aller Lebensphilosophie und Naturpoesie besteht die Zauberkraft dieser Oper quer durch alle Generationen auch in ihrer geradezu sportlichen aphoristischen Bündigkeit. Nach anderthalb Stunden ist die ganze Geschichte samt Pro- und Epilog abgespult, und das hat mit ihrer Herkunft aus einer Zeitungsbildergeschichte (in heutigen Begriffen also: einem Comic) zu tun, zu dem Rudolf Těsnohlídek den Text und der Illustrator und Förster (!) Stanislav Lolek die Bilder lieferten. Inhaltlich hat Janáček vieles umgebaut, aber der Erzählrhythmus seiner Oper lässt noch ihre Herkunft erkennen; der Komponist war ohnehin kein Freund langwierig ausgewalzter Strukturen. Sogar die Vollmond-Liebesnacht zwischen Fuchs und Füchsin dauert vom ersten Kennenlernen bis zur Hochzeit gerade einmal eine reichliche Viertelstunde: Der Komponist hat sozusagen die geziert-verfeinerten Werbezeremonien der Menschenwelt poetisch mit dem umweglos-geradlinigen Paarungsverhalten vieler Tierarten fusioniert – tief liebenswert wie in der ganzen Oper, weil selbst liebend und diese Gefühle und Mit-Gefühle auf seine Kunstgeschöpfe übertragend.

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