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Spurensuche
Das Vermächtnis
Auf den Spuren von Arnold Schönberg. Unterwegs in seiner Geburtsstadt Wien
Von
Susanne Dressler

Ich hoffe so sehr, dass in naher Zukunft nicht jeder Bericht mit den Worten ‚Keine Angst vor der Musik von Schönberg‘ beginnt!“ Selbstverständlich starten wir so nicht. Nach dem Gespräch mit Ulrike Anton, Leiterin des Arnold Schönberg Centers, ist man sowieso von ihrer Begeisterung für den Komponisten, Musiktheoretiker, Dichter, Maler und Erfinder mitgerissen und fühlt sich der facettenreichen Persönlichkeit des Universalgenies Schönberg näher. Ulrike Anton, Flötistin und Musikwissenschafterin, ist seit März 2023 für das Arnold Schönberg Center verantwortlich. „In den 60er Jahren überlegten seine Erben, was mit den circa 20.000 Musik- und Textmanuskriptseiten, Tagebüchern, Konzertprogrammen, Instrumenten und den 3.500 Fotografien des Komponisten geschehen soll. Testamentarisch war seine zweite Frau Gertrud als Verwalterin eingesetzt. Viele Institutionen in Amerika bewarben sich um den Nachlass. Die University of Southern California erhielt den Zuschlag und gründete das Schönberg-Institut. Es lief gut bis zu einem Direktionswechsel, ein Rechtsstreit folgte, und die Familie suchte ein neues Zuhause für das Vermächtnis. Wiederum boten sich Städte an, unter anderem Berlin, Den Haag und Wien. Die Geburtsstadt wurde ausgewählt. 1998 verpflichtete sich Wien, ein Zentrum für den Wegbereiter der Neuen Wiener Schule zu errichten und zu erhalten“, erzählt Ulrike Anton. Das Arnold Schönberg Center ist im Palais Fanto nahe dem Schwarzenbergplatz untergebracht. Der Empfangsraum ist einladend, im Museumsshop kann man unter anderem Literatur über Schönberg, Spielkarten-Sets mit seinen Zeichnungen, Schokoladeherzen und vor allem Noten kaufen. „Jeder kann zu uns kommen. Man muss kein Spezialist für Zwölftonmusik sein, manche möchten einfach nur mehr über Schönberg erfahren. Aber eines ist sicher: Um Schönbergs Werk kommt niemand herum, der sich mit Musik beschäftigt“, so Anton. Die umfangreiche Dokumentensammlung ist übrigens Teil des UNESCO-Weltdokumentenerbes. „Was im Archiv schlummert, soll auch präsentiert, zur Aufführung gebracht werden. Wir organisieren mehr als 40 Konzerte pro Jahr. Familie Schönberg steht aktiv hinter der Stiftung und ist, wie in den Statuten festgelegt, zu dritt im Vorstand vertreten: Derzeit sind es Tochter Nuria Schoenberg Nono als Präsidentin sowie die Enkel Arnie Daniel Schoenberg und Eric Randol Schoenberg.

Mit einem Augenzwinkern

Der Weg zur aktuellen Ausstellung „Mit Schönberg Liebe hören“ führt vorbei an einer Replik des Arbeitszimmers aus dem Haus in Brentwood Park/Los Angeles, in dem Schönberg von 1936 bis zu seinem Tod 1951 wohnte. Die zahlreichen ausgestellten Objekte, geschützt von einer Glasscheibe, geben einen Eindruck von seinem Einfallsreichtum, seinem Erfindergeist und vor allem seinem Humor. In einem Video erklärt Tochter Nuria den einen oder anderen Gegenstand, den ihr Vater selbst entworfen hat: Behältnisse für Federn und Bleistifte, einen Klebebandroller, den Ozalidkopierer auf einem Bauhaus-Tisch, um Notenmanuskripte, theoretische Arbeiten und Lehrmaterialien zu vervielfältigen, oder Notenständer für die kleinen Tische, an denen er komponierte. Wie humorvoll und liebevoll der stets mit rationalen Klangwelten assoziierte Schönberg mit Familie und Freunden umging, zeigen Objekte im Ausstellungsraum. Er fertigte Geschenke wie Spielkarten, Reiseschachbretter, Skizzen oder Postkarten, die er auch mal mit „Montebello“ unterzeichnete. Und in den 1920er Jahren erweiterte er das Schachspiel zum „Koalitionsschach“: Es wird von vier Parteien gespielt, zwei Groß- und zwei Kleinmächten, die Koalitionen eingehen können.

Ein facettenreicher Weg

Wien tat sich lange Zeit schwer mit Schönbergs Werken. Das ist vorbei. Insbesondere im Jahr seines 150. Geburtstags werden zahlreiche Veranstaltungen geboten, vor allem im Herbst in Kooperation mit Wien Modern. Die „Verklärte Nacht“ 1899, „Pelleas und Melisande“ 1902/03 oder die „Gurre-Lieder“ 1900-03/11 – sie alle wurden im Wiener Musikverein uraufgeführt. Doch zurück an den Anfang: Eine Gedenktafel erinnert im 2. Bezirk, Obere Donaustraße 5, an die Geburt Schönbergs in diesem Hause am 13. September 1874. Der aus einer jüdischen Familie stammende Arnold besuchte zunächst die nahe Bürgerschule für Knaben, dann einige Jahre die k. k. Staatsoberrealschule. Die Familie zog häufig um, besonders nach dem Tod des Vaters, als Mutter Pauline mit finanziellen Sorgen kämpfte. Um Geld zu verdienen, begann Schönberg 1891 eine Lehre in der Privatbank Werner & Co, doch vier Jahre später gab er die Bankierskarriere auf und bestritt seinen Lebensunterhalt fortan mit der Leitung mehrerer Chöre – Metallarbeiter-Sängerbund Stockerau, Gesangverein Freisinn, Männergesangverein Meidling – und fertigte Klavierauszüge an. Das Komponieren stand früh im Fokus des Autodidakten: „Alle Kompositionen, die ich vor meinem siebzehnten Jahr geschrieben habe, sind nichts als Imitationen solcher Musik, die mir zugänglich war.“

Eine weitere Gedenktafel findet sich am Haus Liechtensteinstraße 68-70, in dem auch Alexander Zemlinsky und der Maler Richard Gerstl lebten. Die Freundschaft zu beiden hatte nachhaltige Auswirkungen. 1895/96 spielte Schönberg Cello in Zemlinskys Amateurorchester „Musikalischer Verein Polyhymnia“. Geprobt wurde im Hotel Rabl am Fleischmarkt, später im Hotel National in der Taborstraße und im Restaurant „Zur großen Tabakpfeife“ in der Goldschmiedgasse. Schönberg nahm einige Monate Kompositionsunterricht bei Zemlinsky – der einzige Musikunterricht, den er je erhielt – und heiratete 1901 Zemlinskys Schwester Mathilde. Gerstl wiederum inspirierte Schönberg zu malen.

Eine Affäre Mathildes mit Richard Gerstl führte zur Tragödie: Mathilde trennte sich von Schönberg, kehrte auf Vermittlung Weberns wegen der Kinder, Gertrude und Georg, zurück, und Gerstl beging Selbstmord. Nach diesem Schicksalsschlag übersiedelten die Schönbergs in den 13. Bezirk, 1911 zogen sie zum zweiten Mal, nach dem Intermezzo 1901-03, nach Berlin. Nach der Rückkehr nach Wien 1915 diente Schönberg im Militär, zunächst als Kriegsfreiwilliger, später dienstverpflichtet, und unterrichtete anschließend regelmäßig in der Schwarzwald’schen Schulanstalt, Wallnerstraße 9. Die österreichische Pädagogin, Sozialreformerin und Frauenrechtsaktivistin Genia Schwarzwald führte hier ein Mädchenrealgymnasium mit acht Klassen. Es war die erste Schule in Österreich, an der Mädchen maturieren konnten. Neben Schönberg lehrten hier auch Oskar Kokoschka und Adolf Loos.

Vor den Toren der Stadt

Schönberg zog es immer wieder nach Mödling, eine Kleinstadt südwestlich von Wien, wohin er aus Geldmangel oft zu Fuß ging, statt den Zug zu nehmen. 1918 fand er schließlich für sich und seine Familie eine Mietwohnung in der Villa Bernhardgasse 6, in der er bis zum nächsten Umzug nach Berlin 1925 blieb. Die Wohnung in der ersten Etage wird vom Arnold Schönberg Center betreut und ist zu besichtigen. Vom Bahnhof Mödling aus führt der Weg an eleganten Gründerzeitvillen vorbei, die umgeben sind von stattlichen Laubbäumen und blühenden Hortensienbüschen –  wie das Schönberg-Haus auch. Die holzvertäfelten Wohnräume sind mit Möbeln, Ins­trumenten und einem Reisekoffer aus Schönbergs Besitz ausgestattet, auf Schautafeln erfährt man Wissenswertes aus seinem Leben und Wirken. Zum Beispiel, dass er 1918 in diesen Räumen den „Verein für musikalische Privataufführungen“ gründete, dessen Vorstand aus 19 Mitgliedern seines Wiener Schüler- und Freundeskreises bestand. Der Verein organisierte nicht-öffentliche Konzerte, bei denen das Bekunden von Beifall ebenso untersagt war wie Missfallensäußerungen. Neueste Musik „von Mahler bis heute“ sollte ungestört präsentiert und gehört werden können. In den drei Jahren des Bestehens fanden 117 Konzerte statt, bei denen 154 Werke aufgeführt wurden, oft gleich zweimal. Proben und Konzerte erfolgten im Konzerthaus, im Musikverein oder im Festsaal des Kaufmännischen Vereins. Die Gründung des Vereins war auch eine Reaktion auf das legendäre „Watschenkonzert“ vom 31. März 1913 im Musikverein, als Schönberg das Orchester des Wiener Konzertvereins leitete. Das Publikum war dermaßen schockiert gewesen über die neuen Töne, dass das Konzert wegen des Tumults und der Handgreiflichkeiten abgebrochen werden musste. In seiner Mödlinger Wohnung gab Schönberg regelmäßig Kompositionsunterricht, insgesamt unterrichtete er hier über hundert Schüler, darunter Hanns Eisler, Fritz H. Klein, Rudolf Kolisch, Erwin Ratz, Rudolf Serkin und Viktor Ullmann. Auch Francis Poulenc und Darius Milhaud wurden nach Mödling eingeladen und schwärmten von einem schönen Tag, wobei sie sich vor allem von Schönbergs Gemälden schwer beeindruckt zeigten: „Gesichter und Augen, überall Augen!“ Nach dem Tod seiner Frau Mathilde verliebte sich Schönberg erneut und heiratete 1924 in Mödling Gertrud Kolisch, die Schwester seines Schülers Rudolf. Das Ehepaar hatte drei Kinder: Dorothea Nuria, Rudolf Ronald und Lawrence Adam. Historisch ist das Mödlinger Schönberg-Haus aber vor allem als „Geburtsstätte der Zwölftonmusik“ wichtig: Hier entwickelte Schönberg seine „Methode der Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen“. 1925 übersiedelte er ein drittes Mal nach Berlin, 1933 musste er Europa Richtung USA verlassen.

Zu guter Letzt

Wien hat es sich mit Schönberg nie einfach gemacht, aber schon 1952, ein Jahr nach seinem Tod, benannte die Stadt im 14. Bezirk einen Platz nach ihm. Eine ständige Reverenz wird dem als Chorleiter so aktiven Schönberg auch mit dem international renommierten Arnold Schoen­berg Chor erwiesen, der diesen Namen seit 1972 trägt. Und nicht zuletzt steht berühmten Söhnen und Töchtern der Stadt ein Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof zu: Das von Schönberg liegt ganz nahe den Präsidentengräbern und direkt neben dem Grab von Österreichs wohl bekanntestem Bundeskanzler, Bruno Kreisky. Im Auftrag der Stadt Wien gestaltete Fritz Wotruba das Grabmal, einen schlichten weißen Kubus. Am 5. Juni 1974 wurden die aus Los Angeles überführten Urnen Arnold und Gertrud Schönbergs beigesetzt. Der Arnold Schoenberg Chor sang „De Profundis“ op. 50b, und der Schwager Rudolf Kolisch sagte in der Festansprache, dass „vieles von dem Unrecht, das Schönberg in seinem Heimatland widerfuhr, nunmehr begraben“ sei.