Anja Lechner ist eine der Protagonistinnen im Katalog des Münchner Labels ECM. Über 30 CDs hat sie aufgenommen, als Mitglied des Rosamunde Quartetts (1992-2009) und als Solistin mit Kammerorchester, in unterschiedlichen Kammermusikbesetzungen und immer wieder in Duoprojekten, unter anderem mit dem Bandeonisten Dino Saluzzi, dem Pianisten François Couturier, dem Gitarristen Pablo Márquez und der Cellistin Agnès Vesterman. Auf ihrem ersten Soloalbum kombiniert sie nun Bachs Cellosuiten Nr. 1 und 2 mit acht Ayres von Tobias Hume und zwei Stücken von Carl Friedrich Abel – im Original für Gambe geschrieben. Das klingt nicht nur auf dem Papier spannend, sondern auch aus dem Lautsprecher überzeugend.
Frau Lechner, warum haben Sie erst jetzt Ihre erste Solo-CD aufgenommen?
Manches dauert halt länger. Angefangen über eine Solo-CD nachzudenken, habe ich eigentlich schon vor zehn Jahren, aber dann kam immer wieder ein anderes Projekt dazwischen. Ich möchte auch nicht so viel veröffentlichen. Die einzelnen Alben sollen besonders bleiben. Solch ein Projekt muss seine richtige Zeit haben. Und jetzt war eben die Zeit reif dafür.
Aber Solokonzerte haben Sie schon immer gegeben, oder?
Ich habe immer viele Solokonzerte gespielt. Das ist wichtig, um sich zu finden und zu definieren.
Auch als Ausgleich zum Quartettspiel? Sie waren ja lange Mitglied des Rosamunde Quartetts.
Aber das ist auch schon wieder lange her, Quartett spiele ich seit 2009 nicht mehr. Als ich studiert habe, war es extrem schwierig, in München Kammermusikpartner zu finden. In München gibt es nicht so eine freie Szene, im Jazz nicht und auch nicht in der Kammermusik, hier sind die meisten Musiker im Orchester. Ich war schon immer eine Außenseiterin dadurch, dass ich mich in zwei Welten bewegt habe. Ich habe ganz früh die Improvisation für mich entdeckt, und damals durfte man nicht laut sagen, dass man auch improvisiert. Dann war ich ein Jahr in Bloomington, Indiana, da wurde überall richtig viel Kammermusik gemacht. Und als ich wieder zurück in München war, kam wie ein Wunder das Streichquartett in mein Leben. Es ging mir immer um die Musik, und die ist im Quartett natürlich mit das Beste, was man spielen kann. Die Suiten von Bach dagegen sind nun mal für Cello solo geschrieben, und es gibt auch sehr gute neue Musik für Cello solo, zum Beispiel von Valentin Silvestrov.
Das Orchester hat Sie nicht gereizt?
Eigentlich nur, als Celibidache in München war. Aber das hat irgendwie nicht sein sollen. Ich habe im Chamber Orchestra of Europe gespielt, aber vor allem wegen Nikolaus Harnoncourt – der mich dann natürlich, neben meinem Lehrer Heinrich Schiff, sehr beeinflusst hat in meinem Bach-Spiel. Und auch darüber hinaus, einfach diese für mich neue Artikulation und Vibrato-Behandlung bei Mozart oder Beethoven. Seit ich 19 war, habe ich Continuo bei den Passionen von Bach mit Enoch zu Guttenberg und der Chorgemeinschaft Neubeuern gespielt, das ist das oberbayerische Dorf, in dem ich aufgewachsen bin. Nach seiner romantischen Phase hat er ja eine 180-Grad-Wendung gemacht und vibratoloses Spiel verlangt und seine Noten Alice Harnoncourt zum Bezeichnen gegeben. Durch diese Anregungen von mehreren Seiten hat sich meine Vorstellung vom sprechenden, artikulierten Ton noch mal vertieft. Irgendwann hat man das so verinnerlicht, dass man frei ist. Man beherrscht die Sprache und kann plötzlich ganz viel machen.
Sie arbeiten viel mit Jazzmusikern. Aber Sie spielen keinen Jazz, oder?
Nein, überhaupt nicht. Ich mag den Begriff des „improvisierenden Musikers“ lieber, das lässt mehr Freiheit. Wenn ich mit Jazzmusikern spiele, spielen sie keinen Jazz. Ich bin eine klassische Musikerin, die recht früh angefangen hat, ganz frei zu improvisieren, ohne Regeln. Modal meistens. Ich versuche mir nichts vorzugeben, leer zu sein. Ich habe immer wieder Musiker gefunden, deren Musik mich berührt und inspiriert hat – und umgekehrt. Dann findet man immer einen Weg, wie man zusammenkommt.