Viele halten Nils Wogram für den künstlerisch interessantesten Posaunisten der Jazzgeschichte. Oft heißt es, seine besondere Virtuosität am Instrument verdanke sich einer gründlichen klassischen Ausbildung. Doch Wogram stellt richtig: „Mein erster Posaunenlehrer war zwar ein klassischer Bassposaunist – davon profitiere ich auch heute noch. Aber ich war eigentlich nie ein klassischer Posaunist. Auch wenn ich im Jugendalter bei ‚Jugend musiziert‘ mitgemacht habe, habe ich doch immer gespürt, dass mein Herz für den Jazz schlägt.“ Jazz authentisch zu spielen, mit hoher musikalischer Qualität und vielen innovativen Ideen – darum hat sich Nils Wogram immer bemüht. Bloße Virtuosität am Instrument ist ihm dagegen eher suspekt. „Wenn jemand einfach nur toll Posaune spielt, aber die musikalische Originalität fehlt, interessiert das eigentlich nur die Posaunen-Nerds. Das ist etwas, das ich immer vermeiden wollte: Posaunenmusik nur für andere Posaunisten zu machen. Diese ‚Posaunen-Heroes‘ befinden sich in einer merkwürdigen Bubble.“
Der gebürtige Braunschweiger, der seit vielen Jahren in der Schweiz lebt, hat als Bandleader oder Ko-Leader rund vierzig Alben veröffentlicht – und ist auf unzähligen weiteren als Sideman zu hören. Auch wenn es in seiner Musik nicht jedes Mal ums Äußerste geht, um vertrackte Polyfonie oder Mikroton-Experimente – Wogram hat es sich nie leicht gemacht. Denn er wollte immer beides: echten Jazz mit Melodie und Swing, aber auch Avantgardismus, Raffinesse, formale und harmonische Erweiterung. Eine Kombination, die gerade bei Posaunisten selten ist. Die „flüssigen“ Improvisatoren (wie einst J. J. Johnson oder Jimmy Knepper) spielen einen eher „traditionellen“ Modern Jazz. Die Sound-Avantgardisten dagegen (wie Ray Anderson oder Roswell Rudd) können „nicht wirklich Jazz-Lines spielen“, sagt Wogram. „Ich wollte dagegen immer die klangliche Palette der Posaune voll ausnutzen, aber auch das flüssige Spiel der Bebop-Posaunisten beherrschen. Und ich wollte eine erweiterte harmonische und melodische Sprache verinnerlichen.“
Kein Wunder, dass Albert Mangelsdorff (1928-2005) für Wogram ein ganz wichtiges Vorbild war – der Ausnahmeposaunist, der sich stilistisch ein Leben lang weiterentwickelt hat und zur Symbolfigur des deutschen Jazz wurde. „Er ist einer der ganz wenigen Posaunisten, die auf elegante Weise Tradition und Avantgarde verbunden haben“, sagt Wogram. „Er hat bahnbrechende Alben aufgenommen, die mich sehr inspiriert haben – am meisten wahrscheinlich das Soloalbum ‚Trombirds‘ und das Live-Album ‚Trilogue‘.“ Eine wichtige Inspiration für Wogram war auch Conrad Herwig, bei dem er Anfang der 90er Jahre in New York studierte. „Er war einer der Ersten, die so richtig schnell spielen konnten und auch harmonisch-melodisch nach Erweiterungen gesucht haben. Auf meinem Demotape von damals klinge ich schon sehr stark nach ihm – das habe ich später aber abgelegt.“
Es darf komplex sein
Gute, aufregende Musik machen: Darum geht es Nils Wogram. Von Anfang an, seit seinem Debütalbum vor dreißig Jahren, hat er das Publikum durch seine komplexen Spielkonzepte verblüfft. Als Komponist kennt er viele anspruchsvolle Einflüsse. Aus dem Jazz nennt er zum Beispiel Charles Mingus, aus der Klassik: Alban Berg, aus der Rockmusik: Frank Zappa, aus dem Pop: Björk, aus der Worldmusic: die Balkan-Folklore. „Das Ding ist, dass all diese Musik in meinem Kopf und in meinen Ohren ist – und dass diese Einflüsse beim Komponieren irgendwie durch meinen Filter gehen und in anderer Form wieder auftauchen.“