Er hat Komponieren in München, Paris und Düsseldorf u. a. bei Jan Müller-Wieland und Manfred Trojahn studiert und Dirigieren in New York bei Alan Gilbert. Er macht mit seinem Bruder im Klavierduo Jazz, dirigiert, nach drei Jahren Assistenz für Simon Rattle und Kiril Petrenko bei den Berliner Philharmonikern, Orchester wie das Ensemble Intercontemporain oder die Staatskapelle Berlin, war Dirigent der Filmmusikaufnahme zu „Jim Knopf und die Wilde 13“ und gilt als einer der interessantesten jüngeren Komponisten. Zuletzt hat Gregor A. Mayrhofer, in München geborener Wahl-Berliner, u. a. ein „Recycling Concerto“, ein Oratorium „Wir sind Erde“ und ein „Insect Concerto“ geschrieben. Dass das kein Marketing-Gag ist, wird im Gespräch schnell deutlich. Dem 37-Jährigen ist die Umwelt ein echtes Anliegen. Wie zur Bestätigung umschwirren uns während des Interviews an einem Spätsommertag in Berlin hartnäckig mehrere Wespen.
Herr Mayrhofer, wie sind Sie dazu gekommen, ein Insektenkonzert zu schreiben?
Ausgangspunkt war ein Projekt der Berliner Philharmoniker und des World Wildlife Fund zum Thema Insektensterben. Ich hatte gerade ein Stück für das Scharoun Ensemble geschrieben, ein Auftragswerk, das auch mit Natur zu tun hatte, und da fragte mich Peter Riegelbauer, der Kontrabassist und Orchestervorstand der Philharmoniker, ob ich nicht ein Stück für Insekten und Ensemble schreiben wolle. Die Anfangsidee war tatsächlich, Insekten auf der Bühne quasi als Solisten auftreten zu lassen. Aber das war nicht praktikabel, weil die Insekten ja nicht auf Kommando zirpen und summen, wie man es haben will, und läuft auch der Idee des Insektenschutzes zuwider. Es ging also darum, dem Thema mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen, und zwar auf einem anderen Wege als durch einen Zeitungsartikel. Ich habe lange überlegt, mit welcher Stimmung man als Zuhörer durch das Stück gehen und dann den Saal verlassen soll. Eigentlich ist das Thema sehr ernst. Aber hilft es der Sache, das Ganze als Apokalypse zu schildern? Da ist die Gefahr groß, dass man es schnell wieder ausblendet. Das ist ja ein Kernthema unserer Zeit, dass man die Probleme nicht angeht, weil man nicht wirklich wissen will, wie ernst die Lage schon ist.
Also haben Sie auf den großen Knall verzichtet.
Das Stück beginnt sehr leise. Das Orchester ist über den ganzen Saal verteilt, und man hört dieses superfeine Zirpen und wird sensibilisiert, wie schön und zart das klingt. Dann wächst es an, und die Musiker/Insekten bewegen sich auf die Bühne. Ich habe lange überlegt, ob man das qualvolle Absterben der Insekten richtig inszenieren soll. Aber wir bekommen das ja nicht mit. Es ist eher so, dass uns ganz leise etwas abhandenkommt. Und so endet dann auch das Stück: Die Musiker/Insekten verlassen die Bühne wieder, und die Stille, die dann entsteht, hat etwas Schönes und Friedliches, aber auch etwas Bedrohliches. Wir machen uns im täglichen Leben überhaupt nicht bewusst, mit welchem Tempo wir die Vielfalt der Natur, die über Jahrtausende entstanden ist, zerstören, ohne dass wir wissen, ob sich das jemals wieder regenerieren wird. Die Katastrophe stellt sich dar als ein stilles Entschwinden. Das wirkt vielleicht auch nachhaltiger aufs Publikum, als wenn man sich als Künstler hinstellt und den Leuten quasi ins Gesicht schreit: Hier ist die Katastrophe. Und ihr seid schuld!
Wie haben Sie die Musik entwickelt?
Mir war es wichtig, dass es nicht beim Effekt bleibt. Zuerst habe ich mich in die Natur begeben und den Insekten zugehört. Und ich habe eng mit der Berliner Insektenforscherin Hannelore Hoch zusammengearbeitet. Es war unglaublich spannend zu erfahren, wie die Insekten miteinander kommunizieren und was sie auf akustischem Wege austauschen, ihr Alter, zu welcher Familie sie gehören, ob sie paarungsbereit sind usw. Ich dachte, eine Grille ist eine Grille, die zirpt eben. Aber wenn man sich in diese Soundbibliotheken einhört, ist man verblüfft, wie vielfältig das ist. Man hört zwanzig Insekten, und jedes klingt ein bisschen anders. Das war ein irres Erlebnis. Die drei Hauptmotive im Stück sind tatsächlich von den Insekten komponiert: Es gibt ein melodisches Hauptmotiv, das von den Grillen stammt. Dann ist da so eine Art Wischen, das die Blattschrecken von sich geben – die schönsten Tiere machen den unscheinbarsten Klang. Und mein Lieblingsmotiv stammt von den Zikaden, das ist tatsächlich ein 5/8-Takt! Aus diesem rhythmischen Grundmotiv hab ich dann alles gebaut. Ich wollte mich auf wenige Motive beschränken, damit die Zuhörer die musikalische Entwicklung mitverfolgen können. Und dazwischen gibt es viele atmosphärische Geräusche, das Libellenflügelschlagen mit den Geigenbögen zum Beispiel, oder die Ameisenklänge – auch Ameisen machen Geräusche! Mir haben Menschen gesagt, nach der Uraufführung hätten sie in ihrem Garten die Insekten plötzlich ganz anders wahrgenommen. Genau das ist die Idee, dass man mit Kunst ein Bewusstsein schaffen kann für Ideen, die über die Kunst hinausgehen.
Reicht es Ihnen nicht, nur „schöne Musik“ zu komponieren?
Musik ist Musik, die darf nicht nur ein Vehikel sein für gesellschaftliche oder politische Anliegen. Das ist ja auch gefährlich. Und oft wird auf Musik eine Botschaft draufgelegt, die gar nichts mit der Musik an sich zu tun hat. Als ich Student in Paris war, habe ich mich viel mit dem Klimawandel beschäftigt, und da dachte ich mir, ich kann hier nicht einfach nur sitzen und mir abstrakte Klangstrukturen ausdenken. Ich möchte, dass meine Musik etwas mit unserer Zeit zu tun hat und eine Relevanz hat. Die große Frage ist, wie man das herstellt und trotzdem eine Offenheit behält, dass es nicht eindimensional wird. Musik muss auch rein als Musik funktionieren.
In der Mitte des Stücks klingt es dann doch sehr nach „Menschenmusik“.
Ich hab abstrakt angefangen, nur mit Geräuschen der Insekten, die sich verändern. Aber dann dachte ich mir, es braucht auch einen emotionalen Zugang. Wenn man nur Atmosphäre und Texturen und Strukturen hört, bekommt es nie dieses Packende, das uns mitnimmt. Da muss etwas sein, was man als Musik mitnimmt. Außerdem wurde und wird das Stück über iTunes verkauft, der Erlös kommt dem WWF zugute, und da war klar, dass ich kein „Neue-Musik-Nischenprodukt“ machen darf, das nur ein Bruchteil der Bevölkerung spannend findet. Ich wollte auch Leute, die gar nichts zu tun haben mit zeitgenössischer oder auch nur mit klassischer Musik, mitnehmen und hellhörig machen. Es war eine Gratwanderung, dass es weder zu banal oder eindimensional noch zu komplex wird. Das ist ja überhaupt eine Frage für uns heutige Komponisten: Wo verortet man sich da?
Stellt sich auch die Frage: Was „darf“ man?
Ich versuche das zu finden, was mich begeistert, ohne zu sehr darauf zu achten, was meinen früheren Mentoren oder den Kritikern oder den Intendanten gefällt. Die alten Dogmen gelten nicht mehr. Das ist das große Geschenk für meine Generation, dass man die Stile mischen kann. Es herrscht eine große Freiheit. Aber damit stellt sich auch die Frage: Wie schafft man Wesentliches, wenn man alles darf? Was ist das Kriterium für Qualität? Was ist Musik, die wirklich da sein muss?
Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?