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Interview
„Kultur ist brutal“
Auf Konzertprogrammen sucht man den Namen Jimin Oh-Havenith vergeblich. Dafür spielt die Pianistin jedes Jahr für Audite ein Album ein, manchmal auch zwei. Warum das so ist, erklärt sich aus ihrem ungewöhnlichen Lebensweg
Von
Arnt Cobbers
Uwe Arens

Vor dem großen Repertoire hat Jimin Oh-Havenith keine Scheu. Nach Mussorgskys „Bildern einer Ausstellung“, Liszts h-Moll-Sonate oder Beethovens „Appassionata“ (um nur einige Aufnahmen zu nennen) ist nun vor wenigen Wochen ihr drittes, erneut überzeugendes Schumann-Album erschienen: „wild | mild“ mit dem „Carnaval“ und den „Davidsbündlertänzen“. Als ich sie im Oktober in ihrem Haus in Landau in der Pfalz besuche, steht sie kurz vor der nächsten Aufnahme. „Brahms Total“ wird das Drei-CD-Album heißen, das 2025 erscheinen wird.

Jimin Oh-Havenith kam mit 19 Jahren aus Seoul nach Deutschland und schloss bereits mit 23 Jahren in Köln ihr Klavierstudium ab. Die Witwe von Raymund Havenith, daher der deutsch-koreanische Nachname, ist eine herzliche Gastgeberin und offene Gesprächspartnerin. „Ich will nicht aufpassen, was ich sage, und irgendein Image abliefern. Sie müssen ja nicht alles schreiben“, sagt sie und lacht dabei.

Frau Oh-Havenith, wieso haben Sie mit Mitte fünfzig ein zweites musikalisches Leben begonnen und wieder CDs aufgenommen?

Ganz einfach: Mit meinem verstorbenen Mann habe ich Duo gespielt, das heißt, ich bin sehr früh abgekommen von solistischen Sachen. Ich hatte nie viel Zeit zum Üben. Wenn man in ein neues Land kommt, funktioniert das älteste Programm am stärksten, man merkt, dass man sich seiner Erziehung nicht entziehen kann, und wenn man aus Ostasien kommt, bedeutet das, dass man als Frau vor allem für seinen Mann da ist. Als mein Mann gestorben ist, war für mich erst mal alles weg. Wir waren eins in der Musik und in unserem Beruf, und plötzlich war ich allein. Ich bin in ein Loch gefallen. Ich wollte keine Musik mehr anfassen, ich habe angefangen zu heulen, wenn ich über die Straße gelaufen bin und ein Straßenmusiker angefangen hat zu spielen. Aber ich habe eine Tochter, wir mussten überleben. Und einmal Pianist, immer Pianist. Also habe ich die Klasse meines Mannes an der Hochschule in Frankfurt übernommen, ich kannte die Studenten alle gut. Dann habe ich meinen zweiten Mann kennengelernt. Er war mein Student, ein superbegabter Pianist. Aber er ist zu Archäologie und Kunstgeschichte gewechselt, und weil er damit nichts machen konnte, hat er noch anfangen, Medizin zu studieren. Ich dachte nur: Na gut, das ist auch nicht das kürzeste Studium. Es war dieselbe Konstellation wie mit meinem ersten Mann, daran war ich selbst schuld. Ich habe den Haushalt gemacht und mich um die Kinder gekümmert, wir bekamen noch einen Sohn. Kinder werden nicht alleine groß, und zum Glück arbeite ich gern im Haushalt: Ich koche gern, und wir haben bis heute keine Putzfrau, weil ich niemanden hier haben möchte, wenn ich übe, und ich bin gern unabhängig. Damals konnte ich nicht richtig arbeiten, weil das die Nachbarn gestört hat, aber eine andere Wohnung konnten wir uns nicht leisten. Hinzu kommt, dass ich eine chronische Krankheit hatte. Nach dem Tod meines ersten Mannes wurde das ganz schlimm. Ich hatte Risse an den Händen, ich konnte kaum etwas machen, musste aber alles machen. Mein Sohn war in der Waldorfschule, und da hat man mich irgendwann gefragt, ob ich in Eurythmie begleiten kann. Da habe ich einfach Ja gesagt und wieder angefangen zu spielen. Ich war total ausgehungert und habe das sehr gern und ernsthaft gemacht.

Warum haben Sie nicht versucht, Konzerte zu geben?

Ich hatte keine Kraft, war psychisch und physisch am Ende – wenn die Hände kaputt sind, gehen viele Dinge einfach nicht. Und doch konnte ich immer Klavier spielen, das ging immer. Ich weiß nicht, warum. Ich habe nie viel geübt, auch als Kind nicht. Immer nur einen Tag vor dem Unterricht. Aber Talent ist wie ein Trieb, ein Zwang. Damit muss man ringen. Man ahnt gewisse Dinge in sich, aber ich hatte keine Orientierung, ich hatte niemanden, der mich geführt hat. Auch mein erster Mann nicht. Er hat mir nie etwas gezeigt, er wollte nur mit mir zusammen spielen. Bei ihm habe ich gesehen, woran man zugrunde geht als Pianist. Er ist mit 45 Jahren gestorben, er war besessen vom Klavierspiel – was eigentlich auch richtig ist! Aber es hat nicht so geklappt, wie er sich das vorgestellt hatte. Nicht jedes Schicksal führt zur großen Karriere. Und wenn man nur so halb Karriere macht, heißt das nicht, dass man mehr Zeit und Muße für die Familie hat. Im Gegenteil, wenn man alle vier Wochen ein neues Programm lernen muss und eine ganze Klasse an der Hochschule zu betreuen hat, ist das Leben fast nicht zu bewältigen. Ich glaube, unbewusst habe ich damals sehr klar entschieden: Das machst du nicht! Deswegen war die Familie für mich immer die Nummer eins. Aber als mein Sohn zehn oder elf war, dachte ich mir: Es gibt noch etwas, was du tun musst. Wenn du das nicht tust, kannst du nicht in Frieden sterben. Da habe ich angefangen zu üben, jeden Tag ein bisschen. Es war schwer, mein Körper wollte nicht. Aber ich dachte: dranbleiben! Und eines Tages sagte eine Freundin: Spiel doch mal ein Hauskonzert bei einer Freundin von mir, die hat einen Flügel. Ich hatte große Angst, wieder zu spielen, und ein Hauskonzert ist in gewisser Weise viel schwieriger, als in einem Konzertsaal zu spielen. Aber es ging. Zu einem der weiteren Hauskonzerte habe ich meinen Steuerberater eingeladen, weil ich wusste, dass er sich für Musik interessiert. Und hinterher sagte er: Wie wäre es mit einer CD? Ich finanziere die. So ging es los.

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