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Porträt
Lyrische Intensität
Clara Haberkamp ist eine besondere Jazzpianistin. Dass ihr neues Album auf einem Klassik-Label erscheint, ist kein Zufall
Von
Hans-Jürgen Schaal
Peter Hundert

Sie ist beileibe keine Newcomerin mehr. Seit mehr als zehn Jahren schon macht Clara Haberkamp Aufnahmen im Klaviertrio – und das ist nur einer von vielen Aspekten ihres Schaffens. „Die hauptberufliche Jazzpianistin passt wohl nicht mehr zu meiner heutigen Persönlichkeit“, sagt die 35-Jährige. „Mittlerweile sehe ich mich gerne als genreoffene, improvisierende Pianistin und Komponistin. Die Wissenschaft und Pädagogik fügen sich in dieses Profil ein, alles kann sich gegenseitig bereichern. Das gibt mir einen ganzheitlichen Blick auf die Musik selbst – und somit auch auf ihre Vermittlung an Interessierte und Studierende.“ An der Universität der Künste Berlin ist Clara Haberkamp Gastdozentin für improvisierte Liedbegleitung. An der Hochschule für Musik und Theater Hamburg arbeitet sie an ihrer Promotion. Sie komponiert für Vokalensembles, Kammergruppen, Bläserensembles, Streichquartette und mehr. Für das Berliner Festival „Young Euro Classic“ schrieb sie 2021 ein interdisziplinäres Konzertprogramm.

Alles begann schon früh. Im Kindes- und Jugendalter wurde Clara Haberkamp bei Landeswettbewerben von „Jugend jazzt“ und „Jugend musiziert“ ausgezeichnet. Danach war sie Mitglied im Landesjugendjazzorchester NRW und im Bundesjazzorchester. Sie studierte Klavier in Berlin und Komposition in Hamburg. Sie begleitet auch Schauspieler und Liedermacher am Klavier und ist Mitglied in diversen Jazz- und Crossover-Formationen. Zu ihren musikalischen Partnern gehören oder gehörten David Friedman, Lisa Wulff, Jakob Bänsch und die Cellistin Atena Eshtiaghi. Als Jazzpianistin schätzt Haberkamp Kollegen wie Herbie Hancock, Brad Mehldau oder Fred Hersch. Doch sie lässt sich ebenso von der Musik Gustav Mahlers und Alexander Skrjabins inspirieren, auch von Ives, Crumb oder Ligeti.

Das neue Trio-Album

Da ist es kein Wunder, dass ihr Klavierspiel den Rahmen simpler Jazz-Konventionen ständig sprengt. Haberkamps Improvisationen entwickeln sich wie Kompositionen, entfalten eine komplexe Harmonik oder eine dichte Kontrapunktik und eine enorme lyrische Intensität. Sie haben ihre ganz eigene, atmende Logik des Fortgangs. Der amerikanische Kritiker Joe Woodard spricht von Haberkamps „sehr persönlicher Art der Gestaltung von Raum und Improvisation, frei von Formeln und leerem Gedöns“. Häufig wird ihr Spiel mit dem von Brad Mehldau verglichen, der ja ebenfalls von klassischen Komponisten und Konzepten inspiriert ist.

Clara Haberkamp denkt nicht in der Linearität von Jazzchorussen, sondern kennt anspruchsvollere Formideen. Über „Cycle“ zum Beispiel, das unmittelbar begeisternde Eröffnungsstück ihres neuen Albums, sagt sie: „Dieses Stück erinnert an ein System, das immer wieder zurückkehrt zu seinem Ausgangspunkt, zu Wegen und Situationen, die in ähnlicher Weise schon vorgekommen sind. Neue musikalische Ebenen und Dimensionen werden durch eine Neubearbeitung der originalen Strukturen möglich. Wenn die Dinge sich immer weiter drehen, entwickeln und erweitern, nehmen sie Energie auf. Mich erinnert das an einen Phönix, an den Mond oder an den Rhythmus von Tag und Nacht.“

Einige der Stückkonzepte, aber auch die klassisch geschulten pianistischen Techniken, über die Clara Haberkamp verfügt, sind durchaus untypisch für ein Jazzalbum. In der Improvisation lässt diese Allround-Musikerin einfach alles zu, was ihr spontan in den Sinn kommt – dynamisch, harmonisch, stilistisch. „Wir sind in jedem Augenblick bereit, neue Richtungen einzuschlagen“, sagt sie. „Das erfordert eine hohe Bereitschaft, Risiken einzugehen. Ich kann manchmal die Verantwortung einfach abgeben und mich losmachen.“

Das geht natürlich nur mit aufmerksamen, virtuosen Begleitern. Oliver Potratz, Bass, der auch als Begleiter von Carsten Daerr, Dirk Bleese oder David Friedman geglänzt hat, und Jarle Vespestad, Schlagzeug, bekannt aus dem gefeierten Trio von Tord Gustavsen, sind für Haberkamp geradezu ideale Spielpartner. „Die Erfahrung der beiden bereichert meine Musik ungemein“, sagt sie. „Auch wenn es nicht immer danach klingt, ist vieles in meiner Musik kompositorisch und vor allem energetisch vorgegeben. Es geht da ein starker Impuls von meiner Seite aus. Die Musiker müssen also eine eigene Stimme, ja sogar eine eigene Spielphilosophie haben, um diese Dynamik bereichern, unterstützen und auch durchbrechen zu können. Denn genau das braucht meine Musik: Gegenpole und entzerrende Elemente.“