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Interview
„Vielleicht bin ich verrückt“
Nathalie Stutzmann ist einer der heißesten Namen der aktuellen Dirigentenszene. Nun debütiert sie mit Dvořáks „Aus der Neuen Welt“ bei Warner
Von
Arnt Cobbers
Foto: Brice Toul

Die „Süddeutsche Zeitung“ nennt sie „die wahrscheinlich wichtigste Dirigentin der Gegenwart“, und egal, wo und was sie dirigiert, Kritiker und Publikum überschlagen sich vor Begeisterung. In Bayreuth leitet sie im zweiten Jahr den „Tannhäuser“, und auch die großen Orchester in aller Welt reißen sich um Nathalie Stutzmann. Im September erscheint nun ihr erstes Album als Dirigentin bei Warner Classics. Dabei kannte man die Französin, deren Urgroßvater aus Münster stammte, hierzulande bis vor Kurzem nur als exquisite Sängerin. Als „Kontra-Altistin“ mit ungewöhnlich tiefer Stimme sang sie ein breites Repertoire, aber vor allem Alte Musik. Im Gespräch im Bayreuther Festspielhaus, am Tag nach der Wiederaufnahmepremiere des „Tannhäuser“, wirkt sie herzlich und offen – und sie spricht gut Deutsch. „Ich bin ein bisschen müde, es war eine kurze Nacht“, sagt sie und bittet den Pressemann um einen Kaffee.

Frau Stutzmann, sind Sie glücklich nach der Premiere?

Ja. Ich bin glücklich, dass sich die intensive Probenarbeit ausgezahlt hat und dass alle mit Enthusiasmus und voller Risikofreude dabei waren. Das ist selten bei einer Premiere. Alle waren mutig gestern!

Denken Sie trotzdem, beim nächsten Mal machen wir‘s noch besser?

Natürlich, das ist das Leben eines Musikers. Wie es Richard Strauss in „Tod und Verklärung“ schildert. Wir suchen die Perfektion – und finden sie nie. Ich hab schon wieder 30 Notizen, was wir beim nächsten Mal besser machen müssen. (lacht) Das ist meine Verantwortung. Aber insgesamt war es eine gute Vorstellung, und ich war sehr begeistert von der Hingabe und dem Ausdruckswillen des Orchesters.

Können Sie so einen Abend genießen?

Als Dirigent brauchen Sie ein heißes Herz und einen kühlen Kopf. Es gibt immer magische Momente, die ich unglaublich genieße. Aber wenn Sie 300 Leute in Ihren Armen haben, denen Sie Sicherheit geben müssen, müssen Sie die Kontrolle behalten und ihnen trotzdem ein Gefühl von Freiheit geben. Man muss aufpassen, dass man sich nicht den Emotionen hingibt, gerade hier in Bayreuth im Graben.

Wie ist es da? Es heißt immer, als Dirigent sehen Sie die Sänger gar nicht.

Sie waren nie hier im Graben? Es ist verrückt! Ich sehe die Sänger nur, wenn sie vorn sind. Wenn Klaus Florian Vogt im dritten Akt von hinten kommt, sehe ich ihn lange Zeit nicht. Aber viel schlimmer ist, dass ich die Sänger manchmal kaum höre – und viele Musiker im Orchester hören sie überhaupt nicht. Nur im Pianissimo kann ich alle hören. Es ist so laut im Graben! Man muss lernen, wie laut das Orchester sein darf, ohne die Stimmen zu überdecken. Eine andere Schwierigkeit ist, dass man alles mit Verzögerung hört. Die Abstimmung zu schaffen, dass es im Saal zusammen ist, ist schwer. Man muss in den Proben viel mit den Assistenten im Saal und dem berühmten Telefon arbeiten.

Trotzdem mögen Sie Bayreuth, oder?

Ich liebe es! Vielleicht bin ich verrückt. (lacht) Diese Akustik ist ein Geheimnis und ein Wunder. Fürs Publikum, finde ich, ist es der beste Ort auf der Welt, um Wagner zu erleben. Auch für die Dirigenten, weil die Qualität, die alle Beteiligten mitbringen, so hoch ist. Aber man braucht Zeit, um die Akustik zu verstehen, es ist so anders als in anderen Häusern. Man muss in allem mehr geben, man darf mit dem Orchester nicht nur „begleiten“. Die Dynamik, die Artikulation, die Farben – man muss alles zehnmal stärker machen, damit es im Saal ankommt. Ein Staccato muss man super staccato spielen, und wenn neue Musiker im Orchester sitzen, merke ich, dass die manchmal denken: Was will die?! Aber anders geht es nicht, denke ich.

Bleiben Sie die ganze Zeit über hier?

Ja, ich bleibe hier. Ich finde, man muss sich fokussieren. Aber man taucht auch ein in eine andere Welt. Hier wird die Utopie, wie ich Musik machen will, Wirklichkeit. Alle sind da, weil sie es wirklich wollen. Hier haben Sie 900 Leute, Künstler, Techniker usw., die den ganzen Sommer arbeiten, ohne sich zu beschweren. Das ist so schön! Hier liebt jeder Wagner! Alle verzichten auf ihren Urlaub und sind mit Hingabe bei der Sache. Das ist ein Traum! Gestern kamen nach dem zweiten Akt Musiker zu mir und fragten: Können wir diese Stelle aus dem dritten Akt kurz mit Ihnen proben? Die verkürzen freiwillig ihre Pause, um an der Musik zu arbeiten! Das gibt es nirgendwo sonst!

Sie standen Ihr Leben lang auf der Bühne. Ist es nicht komisch zu dirigieren, und das Publikum sieht Sie nicht?

Ich liebe auch das. Bayreuth ist nichts für Showleute. Alles, was Sie im Graben machen, machen Sie nur für die Musik.

Wie ist es, im Sitzen zu dirigieren?

Es tut weh mit der Zeit. (lacht) Man kann nicht den ganzen Körper einsetzen, aber man findet einen Weg. Manchmal stehe ich auf und stehe dann gebeugt, aber ich habe lange Arme wie eine Möwe, jeder im Orchester kann meine Arme sehen. Aber man hat Schmerzen an merkwürdigen Stellen, vor allem in den Beinen. Ein Kollege hatte mir vorher geraten: In Bayreuth brauchst du einen guten Masseur. Ich habe einen.

Ist es fürs Körpergefühl von Vorteil, dass Sie Sängerin waren?

Ich singe nicht mehr. Das ist mein altes Leben, das ist fünf Jahre her. Ich versuche, das Orchester singen zu lassen, und das ist unglaublich erfüllend. Statt der einen Stimme, die ich singe, habe ich sozusagen hundert Stimmen. Aber das Gefühl ist dasselbe. Ich mache immer noch meine Dehn- und Atemübungen, die ich als Sängerin gemacht habe. Und ich bin überzeugt: Diese Arbeit mit dem Atem hat große Einfluss auf den Klang, den ich als Dirigent erschaffe. Mein Lehrer Jorma Panula hat gesagt: Nathalie, wenn Sie den Einsatz geben, bekommen Sie doppelt so viel Klang wie die meisten anderen, die ich höre. Ich glaube, das hängt mit dem Atmen zusammen. Das Orchester braucht Inspiration und Sicherheit – und den Atem.

Sie wollten schon früh dirigieren. Warum haben Sie es nicht getan?

Es war so klar, dass ich als Frau keine Chance haben würde, große Aufgaben zu übernehmen. Ich wollte Musik machen, ich habe Klavier, Fagott und Cello gespielt. Ich hatte eine besondere Stimme mit dieser tiefen Lage, aber dass ich eine professionelle Sängerin werden könnte, war damals nicht abzusehen. Ich war auch in einer Dirigierklasse am Konservatorium, aber der Lehrer war so unglaublich frauenfeindlich. Ich durfte immer nur zuschauen – Ach, Sie als Frau… Das war schwer für mich mit 15. Aber ich habe immer gehofft, dass es sich eines Tages ändert, dass die Gesellschaft offener wird. Der Traum zu dirigieren war immer da. Ich hatte die beste Meisterklasse als Solistin mit den besten Dirigenten und Orchestern. Und ich habe wie ein Schwamm alles aufgesogen.

Warum haben Sie dann noch ein Dirigierstudium gemacht?

Ich habe Simon Rattle gesagt, ich würde gern dirigieren, und er antwortete: Es wird als Frau für dich immer viel schwerer sein. Ich sagte: Ich brauche eine gute Technik, um mich vor Kritik zu schützen. Und er riet mir: Versuche es bei Jorma Panula. Ich habe ein Probedirigieren gemacht – inkognito, und es waren ziemlich viele andere da. Ich hab dirigiert, und er fragte: Können Sie noch morgen bleiben? Ich sagte: Ja, aber dann muss ich meinen Flug umbuchen. Warum? – Morgen hab ich das ganze Orchester. Ich sagte: Heißt das, Sie nehmen mich? Und er sagte in seiner ruppigen Art nur: Natürlich! Das war der schönste Tag meines Lebens!

Er ist ja ein kurioser Mensch.

Er ist ein finnischer Bär. Aber für mich war es perfekt. Er nimmt nur Leute, von denen er denkt, dass sie Talent haben. Dirigieren ist eine Talentsache. Man muss vieles lernen, aber es gibt vieles, was man nicht lernen kann. Und er erkennt sofort, ob jemand Talent hat oder nicht. Und dann dirigiert er nie etwas vor. Man muss seine eigene Technik entwickeln, man kann sich nichts von ihm abgucken. Und er sagt zwei Worte am Tag – höchstens. Aber die vergessen Sie Ihr ganzes Leben nicht. Wenn es richtig gut ist, sagt er: Hm. Ansonsten kritisiert er. Und er filmt einen, und dann schaut man sich das hinterher mit allen Schülern zusammen an. Und dann kommentiert er: Unnötig! Zu viel. Schlecht. Das war genau, was ich brauchte. Als ich zum ersten Mal vor ein Sinfonieorchester trat, wusste ich: Ich hab eine gute Technik, in dem Punkt kann mich niemand kritisieren. Trotzdem war der Anfang sehr schwierig. Es gab viel Skepsis, ich musste immer wieder beweisen, dass es mir wirklich ernst war mit dem Dirigieren.

Und jetzt reißen sich alle um Sie! Es ist viel Psychologie dabei, oder?

Immer. Sie brauchen viel Ausdauer. Und viel Leidenschaft.

Es hilft sicherlich, dass Sie alles kennen und alles schon mal gemacht haben.

Ganz bestimmt. Ich hab Solo-Fagott im Orchester gespielt. Dass ich Cello gelernt habe, war der Wunsch meiner Eltern, weil ich das absolute Gehör habe. Aber das war kein Instrument für mich. Ich wollte atmen. Aber ich kann die Bogenstriche machen. Ich kann mich in die Bläser hineinversetzen. Und am Klavier kann ich die Architektur eines Stückes entwickeln, das ist sehr wichtig, ich spiele immer noch jeden Tag. Und durch die Arbeit als Solistin weiß ich, wie sich die Musiker fühlen, und deshalb kann ich ihnen hoffentlich Sicherheit geben.

Wenn Sie dirigieren, habe ich immer das Gefühl: So ist es richtig, so muss es klingen. Die Tempi, die Dynamik, die Dramaturgie – alles wirkt schlüssig. Wie machen Sie das?

Das ist schwer zu beantworten. Es ist eine Kombination aus Analyse und Intuition. Der erste Schritt ist: Lesen Sie die Partitur mit „Laser-Augen“ und vergessen Sie alles, was Sie kennen. Schauen Sie, was die Partitur sagt. Da sind mir meine Erfahrungen eine riesige Hilfe: Ich sehe die Harmonien, die kontrapunktischen Strukturen mit dem Blick einer Pianistin, ich sehe die Melodien, die Phrasen mit dem Blick einer Sängerin. Ich habe 30 Jahre an den Klangfarben gearbeitet als Sängerin, und es ist so unglaublich, wie viele Farben ein Orchester bietet. Daran arbeite ich viel in den Proben. Es geht nicht nur um Piano oder Forte, sondern die Frage ist immer: Warum? Was willst du hier ausdrücken? Dann das Tempo, das ist bei Wagner so wichtig. Auch da ist der erste Schritt: Analysiere die Partitur. Ich überprüfe immer die Metronomangaben. Wenn der Komponist eine Zahl vorgibt, wird er sich etwas dabei gedacht haben. Zum Beispiel die kleine Arie des Wolfram im ersten Akt. Als ich letztes Jahr dazukam, nahmen sie die Arie schnell. Ich sagte: Das ist doch lento! 50, also wirklich langsam. Davon sollten wir uns zumindest inspirieren lassen. Der Sänger war skeptisch, aber sehr kooperativ und sagte: Na gut, versuchen wir’s. Und nach zwei Wochen meinte er: Ja, das ist viel schöner! Und wenn Sie in der Partitur die mittleren Stimmen analysieren, die Bratschen, die Celli, die zweiten Bläser, dann sehen Sie den Kontrapunkt, und in der Regel können Sie daraus sehr leicht das richtige Tempo entwickeln. Und wenn Sänger dabei sind, ist es oft einfach: Wenn sie die Phrase nicht ohne zu atmen singen können, bist du zu langsam. Wenn sie keine Zeit zu atmen haben, bist du zu schnell. Es gibt diese lustige Geschichte, da hab ich sogar einen Preis gewonnen. Ich hab in den USA dreimal hintereinander die zweite Sinfonie von Brahms dirigiert. Ich habe es jeden Abend etwas anders gemacht, ich habe die Tempi immer anders angelegt, aber es insgesamt unter einen organischen Bogen zu spannen versucht. Und nach dem dritten Konzert stellte sich heraus – die Konzerte wurden mitgeschnitten –, dass alle drei Abende auf die Sekunde gleich lang waren. Ich hatte das Gefühl, ich hätte ganz unterschiedlich dirigiert. Aber die Gesamtschau war gleich. Das ist Instinkt. Die Herausforderung in der Oper ist: Manchmal hat man das Gefühl, der Sänger braucht jetzt etwas mehr Zeit, oder es muss schneller sein, weil er müde ist, und es ist interessant, ihnen zu helfen, ohne aus der Struktur auszubrechen.

Sie haben 2008 Ihr Debüt als Dirigentin gegeben, mit dem Mito Kammerorchester von Seiji Ozawa, und ein Jahr später Ihr eigenes Kammerorchester gegründet: Orfeo 55. War das wichtig?

Es war ein Parallelprojekt für mich. Ich hatte schon begonnen, Sinfonieorchester zu dirigieren, das war kein Dirigierprojekt, sondern es ging um die Musik. Ich habe Freunde gefragt: Warum bilden wir nicht eine Gruppe und machen zusammen Musik? Ich kann in den Proben arbeiten wie ein Dirigent, und dann versuchen wir’s mal. Ich wollte vor allem Händel und Bach machen, was ich nicht oft gesungen hatte. Man lernt immer. Wenn Sie viel Bach spielen, verstehen Sie viel besser Bruckner. Alles ist so wichtig in der Musik.

2017 wurden Sie Erste Gastdirigentin beim RTE National Symphony Orchestra in Dublin, dem größten irischen Orchester, und 2018 Chefdirigentin im norwegischen Kristiansand.

Das war perfekt für mich, um in Ruhe mein Repertoire zu entwickeln. Das sind gute Orchester. Ich mag es, wenn man sich kennt und weiß, was die andere Seite braucht, es ist wie eine Familie. Das war auch beim Philadelphia Orchestra so, wo ich für drei Jahre, bis diesen Sommer, Principal Guest Conductor war, ein tolles Orchester! Aber ich mag es auch, als Gast zu den Münchner Philharmonikern oder dem New York Philharmonic oder dem Concertgebouworchester zu kommen und für ein paar Tage intensiv Musik zu machen.

Hatten Sie das Gefühl, Sie müssen aufhören zu singen?

Lange Zeit habe ich beides parallel gemacht. Ich wollte nicht eine Sängerin sein, die versucht zu dirigieren. Ich wollte Dirigentin sein. Aber ich war mir lange nicht sicher, ob ich Erfolg haben würde als Dirigentin. Aber 2019 hatte ich so viel zu tun als Dirigentin, und dann kam die Pandemie und meine Auftritte als Sängerin wurden abgesagt. Da konnte ich zum ersten Mal komplett in mein Dirigierrepertoire eintauchen. Ich musste ja in wenigen Jahren lernen, was andere in Jahrzehnten lernen. Und da dachte ich: Ich vermisse das Singen nicht mehr, mir geht’s gut. Ich hab alles erreicht als Sängerin, jetzt ist es an der Zeit weiterzugehen. Und ehrlich gesagt hab ich auch gedacht, dass meine Stimme eines Tages nachlassen würde. Aber das hat sie bis jetzt noch nicht getan.

Und nun sind Sie Chefdirigentin des Atlanta Symphony Orchestra. Was ist das für ein Orchester?

Das ist ein gutes Orchester, das für viele Jahre im Schatten stand und durch eine neue Vision ins Licht gebracht werden muss. Sie haben viel Energie und wollen unbedingt gute Musik machen, deshalb hab ich ihr Angebot akzeptiert. Sie wollen vor allem am Kernrepertoire arbeiten, das auch mein Schwerpunkt ist, das deutsche romantische und postromantische Repertoire und das russische Repertoire. Das Orchester hat viel zeitgenössische Musik gemacht unter meinem Vorgänger Robert Spano. Und sie haben den besten Chor in den USA. 160 Sänger – in Kristiansand und in Dublin hatte ich keinen Chor. Es gibt so viel tolles Chorrepertoire. Wir haben gerade die Chorwerke von Brahms gemacht und das Verdi-Requiem, wir machen die „Missa solemnis“ und Mozarts c-Moll-Messe. Das ist großartig. Wir hatten in der vergangenen Saison ein Bruckner-Festival und ein „German Romantic Festival“. Nächstes Jahr werden wir u.a. alle Beethoven-Sinfonien aufführen.

Und mit dem ersten Album für Warner grüßen Sie nun mit Dvořáks „Aus der Neuen Welt“ nach Europa herüber?

Klar, Marketing-Aspekte spielen immer eine Rolle. Aber das ist ein tolles Werk! Wir spielen nach der neuen Edition, und es gibt viele Details, die ich selten in Aufnahmen höre. Ich hab gesagt: Versuchen wir das zu machen mit all diesen Details und mit diesen Volksmusikfarben. Es ist ein Live-Mitschnitt. Dazu gibt’s die „Amerikanische Suite“, auch ein schönes und selten zu hörendes Stück.

Ist es schön, in fortgeschrittenem Alter beruflich quasi noch mal neu anzufangen?

Das ist unglaublich schön! Ich hatte zwei Träume in meinem Leben: Singen und Dirigieren. Ich fühle mich wie ein Unikum: Ich habe als Student den Solti-Ring gehört, und ich konnte mit Hans Hotter studieren, er hat mit mir oft über Bayreuth gesprochen. Und jetzt dirigiere ich hier! Und werde 2026 zurückkehren, um zum 150. Geburtstag der Festspiele „Rienzi“ zu dirigieren. Es ist ein Traum. Als Sänger kann man viel machen, aber man ist immer eine Linie. Als Dirigent kann man viel mehr machen, ich kann meine Vision von Musik viel mehr leben.

Geben Sie inzwischen auch Interviews, in denen Sie nicht auf Ihre Rolle als Frau am Dirigentenpult angesprochen werden?

Selten. Ehrlich gesagt: Ich war sehr naiv. Ich dachte, die Zeiten hätten sich geändert, das sei kein Thema mehr. Das erste Mal, dass ich nur als „Stutzmann“ angekündigt wurde und nicht als Dirigentin – female conductor im Englischen klingt noch schlimmer, wie eine seltene Tier-Spezies –, da war ich wirklich glücklich. Es ist besser geworden, aber es ist immer noch ein Thema. Es gibt in Deutschland drei Frauen auf 120 Chefdirigentenposten, glaube ich. Da ist noch Luft nach oben. Deshalb nervt es mich auch nicht, darüber zu sprechen. Dabei hab ich das nie verstanden: Ich sehe den Dirigenten als eine Funktion, wie einen Priester. Ich wollte nie eingeladen werden, nur weil ich eine Frau bin und weil es politisch korrekt ist. Ich bin nicht woke. Ich bin auch keine Maestra – das ist eine Lehrerin für kleine Kinder im Italienischen. Ich bin ein Maestro, das ist eine Funktion, kein Geschlecht.