FONO FORUM Februar 2024


Editorial

Als wir hörten, das FONO FORUM solle eingestellt werden, waren Robert Funk und ich uns einig: Das darf nicht sein! Ein solches Magazin darf man nicht sterben lassen! Robert Funk ist ein langjähriger FONO-FORUM-Leser und hat mit dem Kulturzweig der Funk-Stiftung eine der wichtigsten privaten Institutionen in Deutschland aufgebaut, die Musiker und Projekte im Bereich der Klassik fördert. Ohne ihn wäre die Übernahme des FONO FORUMs nicht möglich gewesen. Mich kennen viele von Ihnen vielleicht noch – ich war bereits von 2015 bis 2020 Chefredakteur …



Christian Tetzlaff

Konzerte mit Christian Tetzlaff sind stets emotional packende Erlebnisse. Wie kaum ein anderer Geiger schafft er es, die Bandbreite der Gefühle bis in die Extreme auszuloten, ohne dass es im Geringsten aufgesetzt oder forciert wirkt. Er pflegt ein sehr breites Repertoire, gibt rund 100 Orchester- und Kammermusikkonzerte im Jahr, nimmt regelmäßig CDs auf, leitet als Nachfolger seines verstorbenen Freundes Lars Vogt das Festival Spannungen in Heimbach – wirkt aber, als sei Stress für ihn ein Fremdwort. Der gebürtige Hamburger, der seit Langem in Berlin lebt, ist ein gänzlich uneitler, sehr angenehmer Gesprächspartner.

„Bei den Stücken, die ich oft spiele, würde ich sagen: Jedes Stück ist vom Komponisten so gut geschrieben worden, wie es geht. Das hat eine Logik in sich, die nur der Komponist ausdrücken konnte. Es gibt viele Musiker, die sehr schnell aufgeben und sagen: Das gefällt mir nicht, deshalb spiele ich es nicht. Der langsame Satz vom Tschaikowsky-Konzert ist bezeichnet mit Metronom 84, schneller als der erste Satz, und mit Sordino. Er wird normalerweise als Adagio gespielt mit großem, fettem Ton. Offensichtlich weil die Musiker sagen: Tschaikowsky hat sein Stück nicht verstanden, das gehört ganz anders. Diesen Schritt würde ich nie machen. Die armen Komponisten können doch nur wenige Anweisungen geben: Tempo, die grobe Dynamik usw. – die werden doch alles aufschreiben, was für sie wesentlich ist. Ich folge den Anweisungen – nicht, weil ich ansonsten gegen den Urtext verstoßen würde, sondern weil ich verstehen möchte, was der Komponist wollte. Dass in Tschaikowskys zweitem Satz die übliche Lesart mit fettem Ton und viel Vibrato wirkungsvoller für den Solisten ist, ist klar. Aber ich verstehe den Dämpfer wie einen Schleier, alles wird in einen Sepiaton getaucht. Das ist die Erinnerung an einen schönen Ball, da entsteht eine Poesie, die mit Eugen Onegin zu tun hat.“


Christian Jost

„Christian Jost ist einer der gefragtesten Komponisten unserer Zeit. Und ein sehr produktiver. Sein Werkverzeichnis umfasst Stücke für so gut wie alle Gattungen, darunter elf Opern, zahlreiche Orchesterwerke und Solokonzerte, aber auch Kammermusik für die unterschiedlichsten Besetzungen. „Sie halten mich nicht vom Komponieren ab“, sagt er, als wir uns am Vormittag in einem Café in Berlin, wo er seit Langem wohnt, gegenübersitzen. Sein letztes Werk, „Eismeer“ nach dem Gemälde von Caspar David Friedrich, hat er gerade beendet, nun genießt er die Schaffenspause, bis er das nächste Werk beginnt.
„Vielleicht bin ich zu sehr Romantiker, aber für mich wohnt jedem Anfang ein Zauber inne. Was auch daran liegt, dass ich erst anfange zu komponieren, wenn ich richtig Lust dazu habe. Natürlich habe ich Deadlines, aber ich teile mir das immer so ein, dass ich Zeit habe für den Anfang. Ich umkreise das Stück, die Thematik, und wenn ich den ersten Klang habe, ist das ein wunderbarer Moment. Der mit sehr viel Hoffnung verbunden ist, mit viel Sinnlichkeit und Wohlgefühl. Ich halte nichts davon, dass alles, was tief und komplex ist, aus Schmerz geboren sein muss.“Christian Jost ist einer der gefragtesten Komponisten unserer Zeit. Und ein sehr produktiver. Sein Werkverzeichnis umfasst Stücke für so gut wie alle Gattungen, darunter elf Opern, zahlreiche Orchesterwerke und Solokonzerte, aber auch Kammermusik für die unterschiedlichsten Besetzungen. „Sie halten mich nicht vom Komponieren ab“, sagt er, als wir uns am Vormittag in einem Café in Berlin, wo er seit Langem wohnt, gegenübersitzen. Sein letztes Werk, „Eismeer“ nach dem Gemälde von Caspar David Friedrich, hat er gerade beendet, nun genießt er die Schaffenspause, bis er das nächste Werk beginnt.
„Vielleicht bin ich zu sehr Romantiker, aber für mich wohnt jedem Anfang ein Zauber inne. Was auch daran liegt, dass ich erst anfange zu komponieren, wenn ich richtig Lust dazu habe. Natürlich habe ich Deadlines, aber ich teile mir das immer so ein, dass ich Zeit habe für den Anfang. Ich umkreise das Stück, die Thematik, und wenn ich den ersten Klang habe, ist das ein wunderbarer Moment. Der mit sehr viel Hoffnung verbunden ist, mit viel Sinnlichkeit und Wohlgefühl. Ich halte nichts davon, dass alles, was tief und komplex ist, aus Schmerz geboren sein muss.“


Symphonische Anfänge

Einige symphonische Anfänge lassen sich durchaus kosmologisch deuten: als Klangmetaphern der Schöpfung oder – rein wissenschaftlich – der Entstehung des Universums. Ausgangspunkt dieser Betrachtungsweise ist die „Eroica“ mit ihrem Urknall: ein Forte-Tutti, zwei Pausen in Vierteln, dann wieder ein Tuttischlag und zwei Viertelpausen – den Hörern muss damals das Herz stehengeblieben sein bei diesem Auftakt. Er hallt in der Musikgeschichte noch lange nach, am auffälligsten in der „Sinfonia espansiva“ Carl Nielsens, seiner Dritten. Sie hebt ebenfalls mit einem Tutti im Forte an, dem dann über 14 Takte weitere Schläge folgen, wobei die Notenwerte kleiner und die Pausen immer kürzer werden, den Eindruck atemloser Beschleunigung erzeugend.
Aber natürlich ist ein Urknall nur eine Möglichkeit des Beginnens. Das Alternativmodell zur „Eroica“ stammt von Bruckner, dessen elf Symphonien überwiegend mit dem berüchtigten „Urnebel“ beginnen, der nicht immer ein Streichertremolo sein muss. Man könnte das Urbild dieses Beginns in Haydns „Schöpfung“ vermuten, allerdings steht dort im ersten Takt ein Tutti forte, dann erst entrollt sich das uranfängliche Chaos. Eine creatio ex nihilo ist das nicht. Beethovens Neunte kommt dem Ursprung näher: geheimnisvolle Sechzehntel-Triolen in den zweiten Violinen und Celli, also „Urnebel“, dann die fallenden leeren Quinten der ersten Violinen, die sich anschwellend zu einem Ausbruch negativer, niederschmetternder Gewalt steigern. Das ganze zweimal, als sollte es keine Rettung geben aus dem anfänglichen Desaster. In den fallenden Quinten ist bruchstückhaft das Hauptthema vorgebildet, von dem die weitere Entwicklung bestimmt wird. Die grandiose Düsternis dieses Satzes erscheint uns einzigartig, unwiederholbar.


Max Roach

Vor 100 Jahren wurde Max Roach geboren, der die Jazzgeschichte wie nur wenige prägte. Als Drummer, der sein Instrument aus der Begleiterrolle löste, und als stilbildendes Vorbild aller modernen Schlagzeuger. Eine Würdigung.

„Max Roach war nicht nur selbstbewusst und intelligent, sondern auch ein politisch denkender Musiker. Der 1959 dankbar den Auftrag der National Association for the Advancement of Colored People annahm, zum 100. Jahrestag des Inkrafttretens der Emanzipations-Proklamation von 1863 gemeinsam mit dem Texter Oscar Brown Jr. ein Oratorium zu gestalten. Woraus nach einigen Verwirrungen das radikale Konzeptalbum „We Insist! Freedom Now Suite“ hervorging, die wohl kraftvollste und letztlich wirkmächtigste politische Jazzplatte überhaupt. Deutlich afrikanisch grundiert, so von dem nigerianischen Conga-Spieler Olatunji, werden die polyrhythmischen, oft ekstatischen Stücke vor allem von der stimmgewaltigen Sängerin Abbey Lincoln geprägt, die im fi nalen „Tears for Johannesburg“ einen „non-verbalen Vokalauftritt (hat), der zweifellos zu den berührendsten politischen Statements der Epoche zählt“, so der Autor und Musiker Ben Sidran.


Eliot Quartett

Ein Schostakowitsch-Zyklus in Zeiten des Ukraine-Krieges – darf man das? „Das ist gerade jetzt sehr wichtig“, sagt Dmitry Hahalin, der Bratscher des Eliot Quartetts. „Wir beide, Maryana und ich, kommen aus Russland, und wir sehen, dass sich viele Sachen wiederholen. Was wir in Schostakowitschs Briefen lesen: Wie soll man mit der Situation umgehen, soll man emigrieren, soll man in die innere Emigration gehen? Das fragen sich jetzt wieder viele Menschen. Seine Musik kann uns viel erklären über den Totalitarismus.“


Sigiswald Kuijken

Der nächste Pionier der Alten Musik wird 80 Jahre alt. Ein Interview mit Sigiswald Kuijken.

„Ich fand immer schon, dass man nicht dauernd etwas Neues bieten muss. Es ist nur wichtig, dass Musik lebendig ist, von innen belebt. Eine Interpretation darf einer anderen Version durchaus ähnlich sein. Ich habe die Bach-Solosonaten zweimal aufgenommen. Und wenn ich das jetzt anhöre, sind die beiden Fassungen gar nicht sehr verschieden. Das muss auch nicht sein. Ich hatte einfach Lust, das noch einmal zu machen, und wenn es ähnlich ist, ist das kein Problem. Es bedeutet nur, dass meine Meinung gleich gebliebenist, meine erste Fassung hatte ich vorher nicht noch einmal angehört. Die Diktatur des Neuen ist schrecklich, ich bin da sehr radikal. In der Oper ist das sehr deutlich: Jede Inszenierung von Mozart oder Wagner muss immer ganz neu sein, und jeder Regisseur muss etwas finden, was noch keiner vor ihm gemacht hat. Das ist ein schlechter und blöder Ausgangspunkt. Man sollte sich selbst nicht zu ernst nehmen. Man muss das Stück und den Komponisten ernst nehmen.“


Gerd Schaller

Bruckner-Fachmann Gerd Schaller legt zum Bruckner-Jahr ausgerechnet die selten gespielte Zweite vor, in der späten Fassung von 1877.

Sie verbringen ja sehr viel Zeit mit Bruckner…
Naja, ich hab auch sehr viel anderes dirigiert. Aber irgendwann kam der Punkt, dass ich mich intensiv mit Bruckner beschäftigen wollte. Und ich bin ehrlich gesagt über mich selbst erstaunt, dass ich mich immer noch und mit immer neuer Begeisterung den verschiedenen Fassungen widme. Als nächstes werde ich die vierte Symphonie in der Spätfassung aufnehmen, dann kommt die Dritte in einer mittleren Fassung, dann noch die Achte in der Spätfassung und die Neunte mit meinem Finalsatz – den ich zum dritten Mal revidiert habe. Vielleicht färbt Bruckner da schon ab. Ich genieße es, dass man inzwischen einen ungezwungeneren Umgang pflegen kann mit diesen Komponisten, die man früher doch sehr auf ein Podest gehoben hat, gerade Bruckner mit seiner sakralen Sphäre. Das ist Gott sei Dank nicht mehr der Fall. Bruckner war ein Mensch wie du und ich, der in seinen Symphonien seine Gefühle und seine Hoffnungen zum Ausdruck bringt – das ist das schöne bei ihm. Wahrscheinlich inspiriert mich das auch so stark.


Klassikkanon

Corellis Opus 6 zählt zu den einflussreichsten Werken barocker Instrumentalmusik überhaupt – bewundert, studiert und gedanklich fortgesetzt von zahlreichen Komponisten der folgenden Generation.

„Schon eine der ersten Schallplattenaufnahmen ein großer Wurf: August Wenzinger bewies 1955 mit der Cappella Coloniensis ein bemerkenswertes Gespür für angemessene Tempi, Phrasierungen und Gesten. Gewiss, bezüglich des Legatos und Vibratos geht man inzwischen ganz anders an Alte Musik heran, wie in Christopher Hogwoods apollinisch klarer sowie hinsichtlich des „temperamentum“ und der „temperantia“ immer noch unübertroffener Interpretation (1982) deutlich wird; aber wie Wenzinger vor fast 70 Jahren Corellis Geist zum Klingen gebracht hat, ist aus interpretationsgeschichtlicher Perspektive auch heute noch unbedingt hörenswert.“


Vorschau März 2024

Thema: Passion
Unser Schwerpunkt führt uns nicht nur an die Leipziger Thomaskirche. Es gibt viele ebenso interessante wie unbekannte Passionen zu entdecken, ob von Stölzel, C. P. E. Bach oder Pepping. Auch im 20. Jahrhundert wurden überraschend viele Passionen komponiert.

Anastasia Kobekina
Die in Russland geborene Cellistin gehört zu den interessantesten Musikerinnen auf ihrem Instrument. Gerade ist ihr Debütalbum als Exklusivkünstlerin bei Sony herausgekommen. Wir haben sie zu einem Interview getroffen.

Spurensuche
Am 2. März feiert die Musikwelt Bedřich Smetanas 200. Geburtstag. Wir begeben uns auf eine Reise zu den Orten, die ihn zu seinem bekanntesten Werk inspiriert haben: dem Zyklus „Ma vlast“, dessen zweiter Teil „Die Moldau“ ist.

Sarah Vaughan
Am 27. März wäre die US-Amerikanerin 100 Jahre alt geworden. Gelegenheit für eine Würdigung der Jazz-Pianistin und Sängerin mit dem Stimmumfang von drei Oktaven, deren Karriere in der legendären Earl Hines Band begann.